Gesundheit

"Wer sein Gehirn entrümpelt, wird aufmerksam für das, was wirklich wichtig ist."

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Dunja Rieber

Prof. Dr. Volker Busch ist Arzt, Wissenschaftler, Autor und bekannter Keynote-Speaker. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit der Welt von Geist und Gehirn. Gerade erschien sein neues Buch „Kopf frei!“ beim Droemer-Verlag, seit mehreren Wochen unter den Top 10 in der Spiegel-Bestsellerliste. Im Interview verrät er uns, wie wir in einer reiz- und informationsüberladenen Welt den Kopf freibekommen, und wir uns auf das konzentrieren, was wichtig ist im Leben. 

Herr Busch, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Flut an Informationen Menschen immer stärker belastet. Was ist da los in unserer Gesellschaft?

Die Menge an Informationen, die wir täglich aufnehmen, wächst ständig. Jedes Jahr steigt der Konsum um mehr als zwei Prozent. Viele der Informationen richten sich an uns: Tue dies! Verpasse auf keinen Fall das! Schaue unbedingt hier vorbei! Und so weiter. Ein Überangebot an Möglichkeiten und Zuwendungsangeboten kann uns ablenken, verwirren und den Kopf verstopfen. Die Folgen zeigen sich auf der Leistungsebene und der Gesundheitsebene: Viele Klienten berichten mir, dass sie auf der Arbeit nicht mehr durchblicken, Fehler machen oder sich nichts mehr merken können. Konzentration fällt ihnen immer schwerer und abends sind sie total erschöpft von der Reizflut und dem digitalen Arbeitsstress. Gesundheitlich fühlen sich viele Menschen aufgewühlt, klagen über negative Gedanken und kommen abends nicht mehr zur Ruhe bzw. finden keinen erholsamen Schlaf mehr. Informationen machen also etwas mit uns, insbesondere wenn wir zu viele von ihnen konsumieren. Informationen sind natürlich durchaus vorteilhaft, wenn wir sie klug auswählen und mit Bedacht aufnehmen. Es ist wie in der Medizin. Die Dosis macht das Gift.

Wie kann man mit Informationen denn besser umgehen, um sich vor Reizüberflutung zu schützen?

Die Macht im Umgang mit Informationen liegt in einer klugen Auswahl: Holen Sie sich die Informationen, die Sie unbedingt brauchen. Aber schenken Sie Ihren Sinnesorganen und Ihrem Gehirn dann auch wieder kurze Phasen der Ruhe, um die Informationen verarbeiten zu können. Lassen Sie sich nicht zumüllen mit Nachrichten, Optionen, Angeboten, Aufgaben und Möglichkeiten, die ihnen die digitale Welt ständig heranträgt. Treten Sie einen Schritt zurück und überlegen Sie immer: Ist das jetzt wichtig? Ich empfehle immer, sich an einen Türsteher zu erinnern, der am Samstagabend vor einer Diskothek steht. Er wählt aus, wer rein darf, und wer nicht. Das mag zunächst unsympathisch erscheinen, stellt aber sicher, dass sich die Leute drinnen nicht auf die Füße treten und jeder einen schönen Abend hat. Bestimmen Sie also, was Sie in Ihren Kopf hineinlassen. Und legen Sie fest, worauf Sie verzichten möchten. Die Kunst ist heute nicht zu wissen, woher man Informationen bekommt, sondern zu wissen, was man weglassen kann.

Sie sagen, auch unser Gedächtnis leidet unter den vielen Informationen. Wie kann man denn sein Gedächtnis verbessern?

Das Problem ist, dass unser Gehirn mit den vielen gleichzeitigen Informationen sowie mit ständigem Multitastking schnell überfordert ist. Alles wird nur oberflächlich bearbeitet und nichts bleibt wirklich hängen. Indem wir die Umgebung um uns herum wieder präzise wahrnehmen, uns auf das Wesentliche konzentrieren und darin eintauchen, wird auch unser Gedächtnis wieder besser. Denn wenn wir genau zuhören, sobald uns jemand etwas erzählt, ist die neuronale Verarbeitungstiefe der Reizeindrücke im Gehirn ungleich höher. Das bedeutet wir speichern das Wahrgenommene auch besser ab. Das ist etwas, was Sherlock Holmes besonders gut konnte. Er hat seine Welt nicht nur einfach gesehen, er hat genau hingeschaut. Und dadurch sind ihm Dinge aufgefallen, die uns heute entgehen, weil wir mit unseren Smartphones oder anderen Dingen beschäftigt sind, während wir Auto fahren oder im Café sitzen. Erfolgreiche Menschen mit einer guten Merkfähigkeit sind gar nicht unbedingt intelligenter, wie Studien zeigen konnten. Sie beobachten aber präziser und saugen Umwelteindrücke stärker auf. Wenn Patienten in mittlerem Lebensalter zu mir kommen mit Angst vor einer Demenz, weil sie das Gefühl haben, sie könnten sich nichts mehr merken, schulen und trainieren wir als erstes die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung. Meist verbessert das auch die Merkfähigkeit. Der französische Autor Pierre de Levis brachte es mal auf den Punkt: „Die Aufmerksamkeit ist der Meißel des Gedächtnisses.“

Gar nicht so leicht in einer Welt voller Ablenkungen. Wie kann man sich da seine Konzentration bewahren?

Entwickeln kann man Konzentration am besten dadurch, dass man sie täglich trainiert. Ich empfehle sog. Fokuszeiten von 30 oder 45 Minuten im Tagesverlauf, in denen man sich ganz bewusst und ausschließlich einer einzelnen Sache zuwendet und ihr seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Entscheidend ist die Ausschließlichkeit; man sollte in dieser Zeit also Störungen und Unterbrechungen so gut es geht vermeiden. Bei voller Konzentration arbeiten die Netzwerke verschiedener Hirnzentren besser miteinander, wodurch sich unsere geistige Leistung verbessert. Aber auch unsere Befindlichkeit und unsere mentale Gesundheit profitieren von regelmäßigen Fokuszeiten. Mehrere experimentelle Untersuchungen konnten belegen, dass Angestellte beim Versinken in geistiger Tiefe in einer Aufgabe ohne Unterbrechungen am Ende des Tages zufriedener mit ihrer Leistung waren und ihren subjektiven Stress als geringer empfanden. Auch hier also wieder ein Beispiel dafür, dass uns Aufmerksamkeit viel schenkt, wenn wir sorgsam mit ihr umgehen.

Kein Mensch kann sich aber acht Stunden am Stück konzentrieren? Was kann man tun, wenn die Kraft nachlässt?

Richtig. Konzentration kommt nicht, um lange zu bleiben. Nach 45 Minuten sinkt sie bereits merklich, und nach spätestens 60 bis 90 Minuten ist sie größtenteils aufgebraucht. Insgesamt gilt: Je anstrengender eine geistige Aufgabe ist, desto notwendiger werden regelmäßige kurze Pausen. Wie sagt man in der Musik so schön: Ohne Intermezzo kein Akkord! Ähnlich ist es auch in der Arbeitswelt. Pausen sind nötig und unverzichtbar für einen konzentrierten Geist. Sie restaurieren unser Aufmerksamkeitssystem. Oft reichen 10 bis 20 Minuten bereits aus. Aus der Sicht des Gehirns ist eine Pause dann besonders wertvoll, wenn wir „abschalten“ können. Nach Möglichkeit sollte man also keine digitalen Medien konsumieren. Die Organisation von Emails und Terminen, oder das Kommunizieren mit dem Handy bedeutet eine Weiterführung der geistigen Anspannung. Die Aufgaben mögen nicht so anstrengend sein wie die konzentrierte Arbeit zuvor am Schreibtisch, aber eben auch nicht gänzlich entlastend. Wenn man dagegen für ein paar Minuten vor sich hinträumt, seine Gedanken schweifen lässt, und für einen kurzen Moment sämtliche Aufgaben und Termine vergisst, sind Pausen deutlich erholsamer. Viel entscheidender als das, was Sie in einer Pause tun, ist das, was Sie in einer Pause lassen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass bei Pausen, in denen wir keine Informationen konsumieren, die kreativen Ideen kommen. Was passiert da im Kopf?

Das stimmt. Es ist geradezu magisch, was dann passiert. Unser Gehirn nutzt die konsumfreien Momente nämlich dazu, die zuvor aufgenommen Informationen erst einmal intern zu verarbeiten. Es verknüpft sie, ordnet sie ein oder löscht sie. Durch diese Form des assoziativen Denkens „räumt“ das Gehirn auf und belohnt uns nicht selten mit neuen Erkenntnissen, Einsichten und Perspektiven. In Pausen finden Sie daher auch die besten Lösungen für Probleme. Wir werden kreativ. Jeder kennt das aus dem Alltag. Die besten Ideen kommen nicht beim Telefonieren oder wenn man vor einer Exceltabelle sitzt, sondern wenn man eine halbe Stunde im Zug aus dem Fenster blickt oder beim Wandern in den Bergen. Eine geringere Reizaufnahme von außen bringt das konstruktive Denken im Inneren voran. Wenn wir stattdessen in einer solchen Pause Videos schauen oder Schlagzeilen lesen würden, würden diese Verknüpfungsarbeiten augenblicklich stoppen. Geistige Auszeiten des „Nichtstun“ sind aus der Sicht des kreativen Gehirns unverzichtbar. Ein chinesisches Sprichwort hat es mal sehr schön poetisch ausgedrückt: „Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne.“

Welche Rolle spielt die Ernährung beim Thema Konzentration?

Wie fit wir im Kopf sind, liegt zu einem großen Teil in unserer Hand – auch an den Nahrungsmitteln, die wir tagtäglich zu uns nehmen. Die Energiebereitstellung spielt für die Funktion des Gehirns eine entscheidende Rolle. Je ausgewogener und ganzheitlicher wir unseren Körper mit den für unseren Energiestoffwechsel bedeutsamen Mikronährstoffen, also Vitaminen und Spurenelementen versorgen, desto besser kann es arbeiten. Konzentrationsprobleme, ständiges Vergessen oder Lernschwierigkeiten können auch Anzeichen für eine einseitige Ernährung sein. Mit Mikronährstoffen können wir unser Nervensystem „füttern“ und somit auch die Denk- und Lernfähigkeit, die Konzentration, unser Erinnerungsvermögen und sogar unsere Kreativität unterstützen.

Werden Sie das bevorstehende Wochenende oder die Weihnachtszeit selbst auch mehr für geistige Pausen und kreative Auszeiten nutzen?

Ja, absolut. Der Dezember ist in der Regel mein Lieblingsmonat dafür. Im Gegensatz zu vielen Menschen, die ich kenne, ist die Weihnachtszeit für mich wenig stressig. Es sind Wochen, in denen ich viel zu Hause bin, meinen Kopf frei mache, und das Jahr Revue passieren lasse. Ich nehme mir meist wenig vor und lasse mich treiben. Auf diese Weise räume ich in meinem Oberstübchen auf. Und es kommen mit etwas Glück die ersten neuen Ideen. Und Kraft für die neuen Ziele, die man sich für das kommende Jahr gesetzt hat. Insofern freue ich mich sehr auf die Kopffreiräume der kommenden Wochen.

Autoren- und Buchinformationen: Mehr zu Dr. Volker Busch und seinen Vorträgen und Seminaren finden Sie unter: www.drvolkerbusch.de

Mehr Informationen zu seinem Buch inkl. Leseproben und Video finden Sie unter: www.kopf-frei.info

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Bildnachweis: Verlag Droemer-Knaur
Bildnachweis: Petra Homeier